Als Hersteller von (Massen)-Konsumgütern kommt man an Amazon nicht vorbei. Das galt schon vor Corona und gilt seit dem pandemie-getriebenen E-Commerce-Boom umso mehr.
Die Zusammenarbeit mit Amazon ist aber alles andere als ein Selbstläufer. Fragt man bei den Amazon-Verantwortlichen in den Unternehmen nach, hört man meist ein lautes (bis sehr lautes) Stöhnen und Seufzen.
Warum ist das so?
Nun, Amazon tickt völlig anders als alle anderen Handelskonzerne, Großhändler und Distributoren, mit denen Konsumgüterhersteller sonst zusammenarbeiten und schon immer zusammengearbeitet haben. Das hat durchaus Vorteile, aber stellt das Unternehmen, welches seine Produkte an Amazon liefern will (Vendor), aber auch den Hersteller, der Amazon nur als Marktplatz und eventuell Fulfillment-Dienstleister nutzt (Seller) vor große Herausforderungen.
Das sind die 5 größten Fallstricke, über die man als Vendor bei Amazon stolpern kann:
Fallstrick 1: Nur die Daten aus dem eigenen ERP nutzen und den Sell Out außer Acht lassen
Fallstrick 2: Neue Produkte nur mit den notwendigsten Grunddaten listen und warten was passiert
Fallstrick 3: Das Amazon Geschäft in die Hände der Auftragsbearbeitung legen
Fallstrick 4: Sich nur auf ein Land konzentrieren
Fallstrick 5: Nicht alle Retouren ausschließen
Im Folgenden erklären wir Dir, was sich genau dahinter verbirgt und verraten Dir gleichzeitig, wie Du sie erfolgreich umgehen kannst.
Fallstrick 1: Nur die Daten aus dem eigenen ERP nutzen und den Sell Out außer Acht lassen
Woran wird in der Regel der Erfolg im Vertrieb gemessen? Richtig, an den verkauften Stückzahlen oder dem entsprechenden Umsatz-Wert. Diese Daten werden in den unternehmensinternen ERP- und Warenwirtschaftssystemen automatisch erfasst und es existieren meist umfangreiche Auswertungsmöglichkeiten. In den überwiegenden Fällen war das bisher auch ausreichend.
Ein typisches Praxisbeispiel: Der Vertriebsmitarbeiter verhandelt erfolgreich mit einem großen Lebensmittelhändler, bekommt den Zuschlag und der Händler bestellt einen Container des Produkts X. Fertig; zurücklehnen und über den Umsatz freuen (Und ja, bevor hier die ersten Einwände kommen, das ist bewusst vereinfacht und plakativ dargestellt).
Amazon tickt anders. Deren Systeme sind maximal automatisiert, manuelle Eingriffe sind im Prozess nicht vorgesehen. Der Amazon Kunde steht im Vordergrund, alle Prozesse orientieren sich an der Kundenseite. Daher reicht es auch nicht, nur den Sell In im Fokus zu behalten, es ist mindestens genauso wichtig, den Sell Out (also das, was Amazon an seine Endkunden verkauft hat) zu betrachten. Diese Daten sind über das Amazon VendorCentral einsehbar und können auch über Tools wie zum Beispiel AMVisor aufbereitet werden.
Fallstrick 2: Neue Produkte nur mit den notwendigsten Grunddaten listen und warten was passiert
Ein immenser Vorteil von Amazon, nämlich, dass es den Einkäufer als Gatekeeper komplett abgeschafft hat, kann auch ein echter Nachteil für den Hersteller, der mit Amazon zusammenarbeitet, sein: Der Prozess, ein Produkt für den Endkunden sichtbar zu machen, ist ein völlig anderer und deutlich aufwändiger als in der Nicht-Amazon-Welt.
Dort ist es „nur“ nötig, den Einkäufer zu begeistern. Ist der von dem Produkt überzeugt, nimmt er es in sein Sortiment auf, löst die ersten Bestellungen aus und kuratiert es entsprechend. Gegen etwas (oft gar nicht so kleines) Kleingeld, bekommt der Artikel auch einen lukrativen Regalplatz bzw. das digitale Äquivalent. Der Händler kümmert sich um die Produktbeschreibungen, Produkt- und Lifestylebilder und um die entsprechende Präsentation.
Wie gestaltet sich dieser Prozess beim weltweit größten Onlinehändler?
Amazon sagt: „Lieber Vendor, hier ist mein Marktplatz mit riesigem Kundenzugang. Da ist mein Backend, liste was Du willst (außer lebende Tiere und Waffen). Wenn unsere Kunden Interesse zeigen, bestellen wir es vielleicht bei Dir.“
Das heißt, ein Großteil der Aufgaben, die sonst beim Händler liegen, schiebt Amazon einfach zum Hersteller. Der ist in seiner bestehenden Unternehmensstruktur meist gar nicht auf solche Aufgaben eingestellt.
Das Ergebnis: Produkte werden nur mit den nötigsten Grunddaten gelistet, damit es beim Upload in das Amazon-Backend keinen Fehler gibt. Es wird nur ein Bild hochgeladen (und das oft so klein, dass die Amazon Zoom-Funktion deaktiviert bleibt), die Artikelbeschreibung ist rudimentär und es erfolgt keine SEO-Recherche nach den passenden Suchbegriffen.
Die Konsequenz ist, dass der Artikel auf Amazon eine schlechte Sichtbarkeit hat. Er wird von den Kunden nicht gefunden, hat keine oder niedrige Klickraten, bleibt damit für Amazon irrelevant und wird nicht beim Hersteller bestellt.
So weit, so schlecht. Wenn Du Dich fragst, wie es besser geht, wirf einen Blick auf unseren 6 Punkte Plan für die erfolgreiche Erstlistung bei Amazon:
- Recherchiere die relevanten Keywords für Deinen Artikel. Nutze dafür Hilfsmittel und Tools (z.B. das Amazon eigene BrandAnalytics, Amalyze oder Sonar-Tool)
- Gestalte den Produkttitel und die Highlights ansprechend, gut lesbar und baue die wichtigsten Schlüsselwörter in den Anfang des Titels ein
- Erstelle 6-7 aussagekräftige Fotos von Deinem Produkt und lade sie in einer Auflösung von mindestens 1.000 x 1.000 Px hoch.
- Fülle im Amazon-Produktkatalog möglichst alle angegebenen Felder aus, nicht nur die Pflichtfelder. Amazon geht immer mehr dazu über, Produktbeschreibungen automatisiert aus den eingegebenen Daten zu erstellen.
- Löse eine Erstbestellung über das Amazon Programm „Born2Run aus.“ Sollte es diese Option in Deinem VendorCentral nicht geben, fordere die Freischaltung per Fall an.
- Erstelle bei Amazon Advertising eine Werbekampagne. Bewährt hat sich eine Sponsored Products Kampagne mit automatischer Ausrichtung, Laufzeit 5-7 Tage ab Verfügbarkeit des Artikels auf Amazon und einem Budget von 5-10 EUR pro Tag.
Diese Vorgehensweise reicht in den allermeisten Fällen aus, dass Dein neuer Artikel für die Amazon Kunden sichtbar ist, die ersten Verkäufe zustande gekommen sind und der Bestellalgorithmus automatisch beginnt nachzubestellen.
Fallstrick 3: Das Amazon Geschäft in die Hände der Auftragsbearbeitung legen
Da die Lieferantenbeziehung zu Amazon vollständig automatisiert abläuft und damit so völlig anders ist, als es viele Hersteller gewohnt sind, haben wir es oft erlebt, dass das gesamte Vendor-Management bei der Abteilung Auftragsbearbeitung lag. In diesen Fällen werden zwar die Bestellungen, die von Amazon kommen, ordentlich und gewissenhaft ausgeführt, aber es ist eine rein reaktive Lieferantenbeziehung und das große Potential, welches in Amazon steckt, wird in keinster Weise ausgeschöpft.
Um alle Möglichkeiten zu nutzen und das maximal Mögliche aus Amazon herauszuholen, ist ein Zusammenspiel verschiedener Abteilungen notwendig. Marketing spielt eine große Rolle, der Vertrieb, die IT, Buchhaltung und natürlich die Auftragsbearbeitung.
Wichtig: Es braucht jemanden, der all das koordiniert und den Amazon Vendor-Account aktiv managt.
Wenn die Anzahl der hergestellten und vertriebenen Artikel hoch ist und der Amazon-Vertriebskanal bereits eine relevante Größe hat, ist das nach unserer Erfahrung bereits ein Fulltime-Job. Ist der Kanal noch nicht so umsatzstark oder habt Ihr nur ein kleines Produktportfolio, empfehlen wir, die Koordination im Vertrieb anzusiedeln.
Fallstrick 4: Sich nur auf ein Land konzentrieren
Auch globale Unternehmen sind meist lokal organisiert und die Landesorganisationen arbeiten autark und weitgehend voneinander unabhängig.
Das hat sicher viele Vorteile, kann aber bei der Zusammenarbeit mit einem globalen Handelskonzern wie Amazon zu erheblichen Verwerfungen führen.
Wieso? Wir erinnern uns: Amazon arbeitet maximal automatisiert und algorithmengetrieben. Das trifft auch auf das Sourcing der Produkte zu.
Stand heute ist Amazon in 8 europäischen Ländern vertreten: Deutschland, UK, Frankreich, Italien, Spanien, Niederlande, Schweden und Polen. Wenn Du jetzt in deinem deutschen VendorCentral Deine Produkte aktivierst, bist Du für Amazon zwar erst einmal der bevorzugte Lieferant (Preferred Vendor), aber wenn Deine europäischen Kollegen die Produkte auch in ihren lokalen Amazon VendorCentrals listen, kann die Sache schon ganz anders aussehen. Noch diffiziler wird es, wenn Du oder eine andere Landesorganisation mit Distributoren zusammenarbeiten. Diese haben häufig ihren ganz eigenen Kanal zu Amazon und verkaufen Deine Artikel keineswegs nur an die vielen kleinen stationären Händler, wie sie es Dir gerne erzählen.
Das globale Sourcing-System von Amazon sucht sich die Bezugsquelle, bei der es die Ware am günstigsten und zuverlässigsten erhalten wird.
Es kann also sein, dass Du einen Artikel in Deinem deutschen VendorCentral aktiv und verfügbar hast, der Algorithmus aber trotzdem im VC Deiner französischen Kollegen bestellt oder ein Produkt ist gerade in Deinem deutschen Lager nicht verfügbar, die Kollegen in Italien haben aber noch Ware. Auch dann wird sich Amazon in Italien bedienen und die Waren nach Deutschland holen.
Eine zweite Variante, die wir in letzter Zeit häufiger sehen: Amazon lagert die betreffenden Produkte gar nicht erst um, sondern versendet bei Bedarf direkt aus den ausländischen Fulfillment-Centern direkt an den Endkunden. Also beispielsweise wird eine Bestellung eines Rosenheimer Amazon-Kunden nicht aus dem Lager München, sondern aus dem italienischen FC nahe Mailand versendet.
Du erkennst das, wenn das betreffende Produkt auf der Produktdetailseite den Status „Prime Langstrecke“ hat oder – trotz Prime-Lieferung – eine Lieferzeit von 2-3 Tagen angezeigt wird.
Egal wie; in beiden Fällen, wirst Du Umsatz an Deine europäischen Kollegen verlieren. Das ist aus globaler Sicht vielleicht verschmerzbar und nicht so relevant, für deine lokalen Ziele kann das jedoch durchaus schmerzhaft sein.
Dieses Dilemma lässt sich nur auf zwei Arten sauber lösen:
Entweder Du bündelst das gesamte Amazon-Business zentral an einer Stelle und schaltest zusätzlich alle Distributoren aus (sei es durch Nicht-Belieferung oder durch die Preispolitik) oder Du fährst eine absolut saubere europäische Preispolitik. Bei der Kalkulation sind übrigens unterschiedliche Backkonditionen in den einzelnen Amazon-Verträgen gar nicht so relevant. Wichtig sind die sogenannten „Landed costs“, also der Preis, zu dem die Ware in den Amazon FCs angeliefert wird.
Wenn dieser in jedem Land identisch ist, wird das europäische Cross-Sourcing weitestgehend ausgeschaltet.
Fallstrick 5: Nicht alle Retouren ausschließen
Als Hersteller kennst Du eigentlich nur eine Richtung, in die sich Deine Ware bewegt: Raus aus dem Lager. Auch hier weicht das Amazon-System von dem Altbekannten ab.
Die unterschiedlichen Retourengründe von Amazon haben wir hier für Dich zusammengefasst:
Retourenbezeichnung | Erläuterung | Hinweis |
Customer Damaged | Das Produkt wurde von einem Kunden zurückgesendet und befindet sich nicht mehr in einem neuen Zustand. Die Produktverpackung ist beschädigt oder das Produkt weist Gebrauchsspuren auf (einschließlich der Fälle, in denen der Kunde das Siegel gebrochen, die Verpackung geöffnet und/oder das Produkt verwendet oder getestet hat). | In der Regel über die Retourenpauschale ausgeschlossen. |
Carrier Damaged | Das Produkt wurde entweder (a) während des Transports oder der Lieferung an einen Amazon-Kunden beschädigt oder (b) vom Kunden an Amazon zurückgesendet und während des Rücktransports oder der -lieferung an ein Logistikzentrum beschädigt. | In der Regel über die Retourenpauschale ausgeschlossen. |
Vendor Damaged | Das Produkt wurde vor dem Versand an Amazon beschädigt (einschließlich Beschädigungen aufgrund des Umgangs durch den Lieferanten oder Transportdienstleister des Lieferanten). | Im Standardvertrag nicht ausgeschlossen. |
Defective | Der Kunde hat das Produkt zurückgesendet und Amazon mitgeteilt, dass es fehlerhaft ist. Hierzu zählen auch Artikel mit fehlenden Teilen, Bedienungsanleitungen, Anweisungen oder Garantieinformationen. | Achte darauf, dass diese Retourenart ausgeschlossen wird. |
Warehouse Damaged | Das Produkt wurde nach dem Versand an Amazon, aber vor Verlassen unseres Logistikzentrums beschädigt (einschließlich Beschädigungen aufgrund des Umgangs im Amazon-Logistikzentrum). | In der Regel über die Retourenpauschale ausgeschlossen. |
Undamaged Overstock | Das Produkt ist nicht beschädigt oder fehlerhaft, aber es besteht keine Kundennachfrage (Überbestand). | Achte darauf, dass diese Retourenart ausgeschlossen wird. |
Expired | Das Ablaufdatum des Produkts ist überschritten. | In der Regel ausgeschlossen, gerade bei verderblichen Produkten solltest Du diesen Punkt auf jeden Fall prüfen. |
Häufige Fallstricke sind die Retourenarten „Defective“ und „Undamaged Overstock.“
Die Gründe dafür erklären wir hier:
Defective
Vom Grundsatz her ist die Definition ja verständlich und nachvollziehbar. Hat der Amazon-Kunde ein defektes Produkt erhalten und schickt es zurück, kann davon ausgegangen werden, dass der Artikel bereits beim Hersteller defekt war und daher berechtigterweise retour kommt.
Das Problem ist, dass Amazon die Angabe des Endkunden nicht überprüft. Schickt also ein Amazon-Kunde ein gekauftes Produkt mit dem Hinweis „defekt“ an Amazon zurück, geht dieser Artikel automatisch über die Retourenart „defective“ an den Hersteller. Allerdings verführt die Rückgabepolitik von Amazon den Kunden dazu, den Retourengrund nicht immer wahrheitsgemäß auszuwählen.
Artikel mit einem Verkaufspreis unter 40 EUR kann man nämlich nur kostenlos an Amazon retournieren, wenn das Produkt defekt ist, nicht aber wegen Nichtgefallen. Das führt dazu, dass viele Hersteller Defektretouren erhalten, die in einem einwandfreien Zustand sind.
Der Kostentreiber in diesem Prozess ist meist gar nicht die Rückerstattung der betroffenen Ware, sondern der aufwändige, interne Prozess von der Retourenvereinnahmung über die Prüfung durch die QS bis hin zur Gutschrift in der Buchhaltung. Daher empfehlen wir, immer auch die „Defective-Retouren“ auszuschließen und dafür lieber eine etwas höhere Kondition in Kauf zu nehmen.
Undamaged Overstock
Auch hier könnte man ja grundsätzlich sagen „ok, es ist akzeptabel, wenn Amazon mir zu viel bestellte Waren wieder zurückschickt, denn das System deckt sowieso immer nur den Bedarf für die nächsten paar Wochen und legt sich keinen großen Vorrat an.“
So weit, so gut, aber – und das ist ein großes ABER – Amazon berechnet den Überbestand auf Lagerbasis. Das heißt, z.B. das Fulfillment-Center in Leipzig meldet Überbestand für einen Deiner Artikel, schickt ihn Dir zurück, während gleichzeitig das FC in München Bedarf hat und das gleiche Produkt bei Dir bestellt.
Auch hier steht oft der interne Aufwand für die ganze Hin- und Her Bucherei in keinem Verhältnis und wir empfehlen, die Überbestands-Retouren auszuschließen.
Unser Fazit
Ja, die Zusammenarbeit mit Amazon ist komplex, oft schwierig und manchmal hat man das Gefühl, man kämpft gegen Windmühlen (alle, die schon mal versucht haben, ein Problem über den Amazon Vendor Support zu klären, werden wissen, was wir meinen). Aber es ist auch der mit Abstand größte Onlinehändler der Welt und bietet enorme Chancen und ein riesiges Potential.
Wenn Du unsere Tipps aus diesem Artikel befolgst und ein bisschen Geduld mitbringst, wirst Du sehen, dass Dein Amazon-Vendor-Business einen großen Sprung nach vorne machen wird.
Mehr Informationen zum Thema Amazon findest Du in Form von Artikeln, Webinaren und Magazinen in unserer Themenwelt:
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