Die Konzeption neuer Kampagnen für soziale Netzwerke wie Facebook und Instagram gleicht in 90 Prozent der Unternehmen einem Trauerspiel in drei Akten.
- Akt: Kreation – Ein spaßiger Anfang. Der Protagonist brieft die interne Grafik oder eine externe Agentur. Es werden Konzepte geschrieben und Moodboards erstellt. In zig Iterationen entstehen auf den Pixel optimierte Werbemittel entlang des Corporate Design.
- Akt: Zielgruppe – Es geht ans Eingemachte. Die in Stein gemeißelten Werbemittel werden mit dem Werbenetzwerk in einem Akt der Verzweiflung zusammengeführt. Der Protagonist bastelt Zielgruppen, schreibt Werbetexte und plant die Aussteuerung.
- Akt: Kampagnenstruktur – Das große Finale, jetzt muss alles sitzen. Werbemittel und Zielgruppen werden ins Korsett des Werbenetzwerks gezwängt. Die lose Idee der Kreation wird Wirklichkeit – oder verpufft im virtuellen Nirvana.
Ein solches Trauerspiel verdient keinen Applaus. Es startet in der Kreation, obwohl es dort eigentlich enden sollte und es vergisst, worauf es wirklich ankommt: die „Angle“, grob übersetzt, das „Verkaufsargument“.
Ein Plädoyer für die „Angle“
Der deutsche Begriff „Verkaufsargument“ klingt technischer als „Angle“ gemeint ist. Es geht nicht allein um Argumente für ein Angebot („Spare 10 Prozent!“) oder Funktionen eines Produkts („Jetzt noch effektiver!“), sondern auch um Gefühle des Rezipienten (bspw. Sicherheit).
Viele Werbemittel nutzen keines dieser subtilen Verkaufsargumente, weil sich Werbetreibende in der Kreation auf das Produkt konzentrieren. Dessen Funktionen rücken dadurch in den Mittelpunkt. „Kaufe dieses Produkt, denn es ist gut und günstig“, heißt es dann in der Werbung.
Wenn Kreativagenturen im Spiel sind, gibt es noch einen zweiten Ansatz. Anstatt ums Produkt, dreht sich alles um eine Idee, die in Hinterzimmern von Konzeptern entwickelt wurde. Sie gibt dem Angebot einen besonderen Spin, wird aber selten vorab validiert. Wie gut sie ist, erfahren wir erst, wenn alles live ist. Und dann ist es zu spät, sie zu verändern.
Auf Kanälen wie Facebook und Instagram – dort also, wo wir Nutzer*innen mit Werbung aus dem von ihnen gewünschten Kontext reißen – sind beide Ansätze problematisch. Als Werbetreibende haben wir nur wenige Sekunden, um einen guten Eindruck zu machen und uns die Aufmerksamkeit unserer Zielgruppe zu erarbeiten. Sie allein entscheiden, wie es dann weitergeht. Wir müssen matchen!
Nur wenn die Probleme der Nutzer*innen in den Vordergrund rücken, erhalten wir ihre Aufmerksamkeit. Unsere Werbeanzeige muss ein konkretes Problem benennen und die passende Lösung liefern. Wer in der Kreation mit dem Produkt oder einer Idee startet, verfehlt dieses Ziel.
Das Beispiel eines Verkaufsarguments
Nehmen wir das Beispiel eines Autos. Die meisten Werbetreibenden gehen vom Produkt und seinen Funktionen aus, dem Spritverbrauch oder der Einparkhilfe. Sie entwickeln Werbemittel, die diese Funktionen in den Vordergrund stellen. Sie werben mit „4,5l/ 100km“ oder einer „hochauflösenden Rückfahrkamera“.
Um einen direkten Draht zu potenziellen Nutzer*innen aufzubauen, werben wir nicht mit Funktionen. Wir werben mit den daraus resultierenden Lösungen und erkennen dabei, dass eine Funktion die Lösung vieler Probleme sein kann. Eine Einparkhilfe verhindert teure Lackschäden und peinliches Rangieren. Welcher Ansatz besser läuft, gilt es zu testen.
Anders als bei großen TV-Kampagnen, wo wenige Werbemittel an große Zielgruppen ausgespielt werden, können wir auf Facebook und Instagram unzählige Varianten testen. Sich zu Beginn einer Kampagne nur auf ein Problem und dessen Lösung einzuschießen, ist unnötig. Trump hat es uns vor rund vier Jahren vorgemacht (https://de.wikipedia.org/wiki/Cambridge_Analytica#Einflussnahme_auf_US-Wahlk%C3%A4mpfe).
Mit den Problemen der Nutzer*innen und unseren Lösungen zu starten, hat darüber hinaus einen zweiten Vorteil. Wenn nicht das Produkt und dessen Funktion im Vordergrund steht, orientiert sich auch das Aussehen des Werbemittels an den Problemen und ihren Lösungen. Dadurch entwickeln wir Werbemittel, die besonders kontrastreich sind und realisieren A/B-Tests, die schnell signifikante Resultate zeigen.
Angle, Angle, Angle
Angles zu finden ist kein Hexenwerk. Ich persönliche starte den Prozess mit einem offenen Brainstorming und nutze hierbei verschiedene Hilfsmittel. Den Anfang machen grundlegende Fragen zur Marke beziehungsweise dem Produkt.
- Wofür steht die Marke/ das Produkt?
- Welche Funktionen erfüllt die Marke/ das Produkt?
- Wie differenziert sich die Marke/ das Produkt?
Ergänzend dazu beschäftige ich mich mit (potenziellen) Zielgruppen:
- Welche Nutzer(gruppen) kaufen die Marke/ das Produkt?
- Warum kaufen die Nutzer(gruppen) die Marke/ das Produkt?
- Welche Informationen beeinflussen das Kaufverhalten?
Mithilfe dieser Fragen sammeln wir lose Informationen. Sie schon jetzt zu sortieren, ist dabei nicht mein Anspruch.
Psychologie statt Personas
Wer gleich tiefer einsteigen will, entwickelt „Personas“. Ich persönliche halte mich dahingehend zurück, denn die Struktur einer Persona zwingt mich in Mustern zu denken. Ich aber will so früh im Prozess kreativ bleiben.
In meinen Augen deutlich hilfreicher ist Stammtisch-Psychologie der Kategorie „Cashvertising“. Das Buch zu Cashvertising von Drew Eric Whitman (Achtung: Werbelink) argumentiert, dass Kaufentscheidungen primär aus Emotionen resultieren. Um diese Emotionen hervorzurufen, nennt er acht Ziele, die unsere Entscheidungen antreiben.
Die acht von Whitman genannten Ziele sind:
- Zu überleben und das Leben zu genießen.
- Die Verfügbarkeit von gutem Essen und Getränken.
- Frei von Angst, Schmerz und Gefahr zu sein.
- Ein sexuell erfülltes Leben haben.
- Angenehme Lebensumstände haben oder erhalten.
- Sich mit anderen messen können.
- Die Angehörigen beschützen.
- Anerkennung von Anderen erhalten.
Im Rahmen meines Brainstormings versuche ich aus der Perspektive jedes dieser acht Lebensziele eines odere mehrere Verkaufsargumente für die beworbenen Produkte zu finden. Das erscheint auf den ersten Blick nicht immer sinnvoll – Wie hilft mir ein Waschmittel dabei, mich mit anderen zu messen? –, aber es regt zum Nachdenken an.
Einen weiteren Ansatz, viele dieser losen Ideen zu sammeln, kommt von den „Social Marketing Nerds“. Sie nennen ihre Vorgehensweise „Value Proposition Hacking“ und ermitteln Verkaufsargumente durch gezielte Fragen zu vier Themenbereichen: den aktuellen Problemen der Kund*innen („Customer Jobs“), den Hürden des Kaufs („Customer Pains“), den Resultaten des Kaufs („Customer Gains“) und den angebotenen Produkten („Products“).
Eine Einführung ins „Value Proposition Hacking“ erhaltet ihr in der neunten Folge des Podcasts von Adsventure.de. Sie beantwortet nicht alle offenen Fragen, gibt aber Orientierung. Und sie unterstreicht erneut, wie wichtig eine vom Kundennutzen ausgehende Kreation ist und nennt viele interessante Fragen, die in einem Brainstorming zu möglichst relevanten Verkaufsargumenten führen.
Vom Brainstorming zum Werbemittel
Das Ergebnis des Brainstormings sind viele potenzielle Zielgruppen und passende Verkaufsargumente. Deshalb folgen jetzt zwei Aufgaben: Wir müssen das Irrelevante streichen und das Relevante sortieren. Denn vieles, das wir gesammelt haben, ist nicht gut genug. Es überspannt den Bogen oder passt nicht zur beworbenen Marke. Nur, was übrig bleibt, kommt in die engere Auswahl. Diese Auswahl sortiere ich anschließend in zwei Kategorien: Zielgruppen und Verkaufsargumente. Das schafft Ordnung und gibt mir die Möglichkeit, beides getrennt voneinander zu bearbeiten.
Vom Brainstorming zur Zielgruppe
Die ermittelten Zielgruppen versuche ich im Werbenetzwerk von Facebook umzusetzen. Hierfür rufe ich den „Zielgruppen“-Tab im Business Manager auf und spiele mit demographischen Merkmalen (bspw. Wohnort) oder Interessen (bspw. Hobbies). Passende Kombinationen speichere ich mit einer sinnvollen Namenskonvention ab. Denkbar ist eine Struktur wie „Land_Geschlecht_Alter_Merkmal“ (bspw „DE_F_25-50_Interesse:BMW“). Das hilft im weiteren Verlauf, die relevanten Zielgruppen meiner Kampagnen zu wählen.
Beim Erstellen der Zielgruppen erhalte ich ein erstes Gefühl für die Anzahl der potenziellen Interessenten. Ich bündele mehrere kleine Zielgruppen, gleiche dessen Überschneidung ab und verschaffe mir einen Überblick. Ich erkenne schnell, in welchen Bereichen viel Potenzial liegt und entscheide, welche Zielgruppen im ersten Anlauf bespielt werden. Indikatoren hierfür sind neben den vorhandenen Interessen auch die Zielgruppengrößen. Sie deuten an, ob eine Zielgruppe den Testlauf wert ist und wie viel Tagesbudget sie verträgt.
Vom Brainstorming zum Verkaufsargument
Auch in Hinblick auf die verfügbaren Verkaufsargumente verschaffe ich mir zunächst einen Überblick. Ich schnappe mir Stift und Papier, skizziere für jedes Verkaufsargument erste Ideen passender Werbemittel und stelle mir hierbei unter anderem die folgenden Fragen:
- Auf welchen Netzwerken (bspw. Facebook) spielen wir die Werbemittel aus?
- >Welche Platzierungen (bspw. Feed) kommen in Frage?
- In welchen Formaten (bspw. 1×1-Format) brauchen wir die Werbemittel?>
Durch diesen Prozess nähere ich mich schrittweise der Kreation. Ich notiere passende Ideen, kombiniere auf dem Papier das vorhandene Bildmaterial mit möglichen Texten und berücksichtige Funktionen des Werbenetzwerks, die auf das Verkaufsargument einzahlen (bspw. Umfragen in Stories). Im Laufe des Prozesses formt sich ein erstes Bild möglicher Werbemittel, das ich anschließend in die Kreation übergebe.
Die Übergabe in die Kreation
Wenn der beschriebene Prozess ohne die Mitarbeit der Grafiker*innen erfolgt, müssen meine losen Gedanken an dieser Stelle in ein gut strukturiertes Briefing übergehen. Zur Umsetzung müssen Grafiker*innen das Gesamtpaket verstehen, vom Verkaufsargument bis hin zum Werbemittel. Die größte Herausforderung ist hierbei, ihnen neben der reinen Information auch das Verständnis mitzugeben, das nötig ist, um selbständig weitere Ideen möglicher Werbemittel zu entwickeln.
Diese Herausforderung lösen wir, indem wir Grafiker*innen so früh wie möglich in den Prozess integrieren. Wenn wir ihnen das Prinzip der „Angle“ erklären, sie bereits im Brainstorming mitwirken und selbst Anzeigenideen entwickeln lassen, schaffen wir maximales Verständnis und sparen uns komplexe Briefings. Zudem können neue Anzeigen auch weit über den Prozess hinaus auf Zuruf entstehen, weil ein beidseitiges Verständnis für die relevanten Verkaufsargumente vorliegt.
Fazit
Wenn du dich erstmals dem Thema der „Angle“ näherst, kostet der Prozess – vom Brainstorming bis zur Kreation – viel Zeit und Aufwand. Eine Routine entwickelt sich erst im Laufe der Zeit, nach Ablauf vieler Durchgänge. Wie genau sie aussieht, hängt von deinen ganz eigenen Rahmenbedingungen ab. Eine Sache aber haben all diese Varianten gemeinsam: Sie starten mit der Angle und enden in der Kreation, nicht andersherum.
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