Einleitung
Die vertriebliche Arbeit sichtbar und vor allem messbar zu machen und das in Gänze, stellt eine Herausforderung dar. Wie viele umsatzversprechende Gespräche wurden geführt? Wie viele Kontakte oder gar Leads bringt man nach einer Konferenz nach Hause? Wie erfolgreich ist die Lead-Generierung über LinkedIn? Wie war der Rücklauf bei den letzten vom Marketing gesteuerten Mailkampagnen? Wie viele Leads wurden zu tatsächlichen Kunden? Wie lange dauert die gesamte Akquisephase über die einzelnen Stufen des Verkaufstrichters hinweg?
Viele Fragen, die nur zielführend und mit Mehrwert beantwortet und ausgewertet werden können, wenn das richtige Instrumentarium bzw. die richtigen Tools zur Verfügung stehen. Daten wollen nicht nur gesammelt, sondern auch effizient befragt werden, sodass daraus erfolgsversprechende Vertriebs- und Marketingaktionen abgeleitet werden können. Doch im gleichen Atemzug geht es auch um die kontinuierliche Schaffung von Mehrwerten für den Kunden und die Frage nach dem tatsächlichen Interesse an den angebotenen Produkten oder Dienstleistungen.
Es steht die Frage nach der Begeisterung des Kunden oder der Kundin im Raum, welche benötigt wird, damit ein Kauf kundenseitig tatsächlich getätigt wird. Mit spätestens dieser Frage rückt der Kunde ins Rampenlicht der Analyse und der Verkäufer oder die Verkäuferin nimmt Platz auf den hinteren Rängen. Und das völlig zurecht. Denn mit der Digitalisierung der Prozesse rund um den Bezug von Produkten oder Dienstleistungen wird der Kunde aufgrund seiner veränderten Rolle aktiver Part beziehungsweise immer unabhängiger vom klassischen Verkäufer bzw. der Verkäuferin. Damit einher geht auch gleichsam erwartbar eine Auseinandersetzung mit etablierten Konzepten oder Modellen, die Verkaufsprozesse visualisieren und entsprechend im Vertrieb und Marketing Anwendung finden.
Der Verkaufstrichter
Ein klassisches Modell, welches vielfach in Vertrieb und Marketing Anwendung findet, ist der sogenannte Verkaufstrichter oder Sales Funnel. Er dient der Visualisierung und damit Messbarkeit des sogenannten Verkaufsprozesses. Ziel ist die Effektivität- und Effizienzoptimierung über die einzelnen Phasen oder Stufen des Verkaufstrichters hinweg sowie eine kontinuierliche Erhöhung der Conversion-Rate. Die Conversion-Rate bezeichnet die Anzahl an Interessenten und Interessentinnen, die letztlich zu Kunden eines Unternehmens werden, also das Produkt oder die Dienstleistung kaufen.
Der Verkaufstrichter besteht in der Regel aus mehreren Stufen, die der Kunde während des Verkaufsprozesses durchläuft. Zu Beginn des Prozesses (ToFu = Top of the Funnel) spricht man von der Lead-Generierung. Potentielle Kunden werden auf das Unternehmen aufmerksam gemacht. Dies durch Werbung, Marketing-Kampagnen, Events oder andere Marketingmaßnahmen. Es gilt bei Erstkontakten oder Besucher:innen z.B. einer Website derart Interesse für Produkt oder Dienstleistung zu wecken, dass weitere Informationen gewünscht oder gar verlangt werden.
In einem zweiten Abschnitt des Prozesses wird nun die möglichst hohe Anzahl an Interessenten und Interessentinnen, also Leads, qualifiziert (MiFu=Middle of the Funnel). Hier wird überprüft, ob der potenzielle Kunde oder die Kundin tatsächlich Interesse am Produkt oder der Dienstleistung hat und ob er oder sie über die finanziellen Ressourcen verfügt, um diese tatsächlich zu kaufen.
Im dritten und damit untersten Abschnitt des Verkaufstrichters (BoFu=Bottom of the Funnel) geht es dann um die konkrete Angebotspräsentation, bei der dem Kunden das Angebot für Produkt oder Dienstleistung unterbreitet wird. Es werden Preis, Leistungsumfang und andere wichtige Informationen kommuniziert, um den Kunden von der Kaufentscheidung zu überzeugen. Schließlich folgt der Abschluss. Der Kunde oder die Kundin tätigt den Kauf.
Der Verkaufstrichter oder Sales Funnel visualisiert Verkaufsprozesse quasi in der Vogelperspektive, d.h. er bildet die Gesamtzahl der möglichen Verkaufsabschlüsse in einem linearen Akquiseprozess ab. Durch die Form des Trichters soll verdeutlicht werden, dass sich die Anzahl der Interessenten und Interessentinnen auf dem Weg zum Kauf reduziert. Nicht alle Interessenten werden letztlich Produkt oder Dienstleistung kaufen und damit Kunde oder Kundin eines Unternehmens.
Der Verkaufstrichter in der Kritik
Der Verkaufstrichter oder Sales Funnel steht als Modell mittlerweile in der Kritik und wird in Verbindung mit der heutigen digitalen Welt oft als veraltet empfunden. Es hat eine wesentliche Veränderung stattgefunden, die den Verkaufsprozess, der durch den Verkaufstrichter dargestellt werden soll, signifikant beeinflusst.
Man spricht heute vom Zeitalter des Kunden (Forbes). Der Kunde oder die Kundin beherrscht den Kaufprozess, ist autark, sammelt Informationen, evaluiert und entscheidet, wie seine bzw. ihre Reise zum Produkt oder zur Dienstleistung aussehen und möglicherweise weitergehen soll. Mit dieser völlig veränderten Perspektive, hin zum Kunden und weg vom Verkäufer oder der Verkäuferin, wird auch eine Anpassung der Prozessbetrachtung notwendig, denn der Prozess des Verkaufens ist, Stand heute, vielmehr der Prozess des Kaufens.
Entsprechend wird heute oft das Konzept der “Buyer’s Journey” oder “Customer Journey” bevorzugt, da es den komplexen Entscheidungsprozess der Kunden besser oder vielmehr vorteilhafter widerzuspiegeln scheint. Dabei werden potentielle Kunden nicht mehr einfach durch einen linearen Verkaufsprozess geführt, sondern vielmehr durch verschiedene Touchpoints und Interaktionen motiviert, ein Unternehmen sowie dessen Produkte und Dienstleistungen kennenzulernen. Es geht darum, Kunden für die eigenen Produkte oder Dienstleistungen derart zu begeistern, dass ein Kaufinteresse entsteht, das schließlich zum Kauf führt.
Im Fokus steht also hier die Analyse des Kaufprozesses. Wie verhält sich der potentielle Kunde oder die Kundin? Welche Touchpoints haben Interesse geweckt? Wie oft wurde beispielsweise ein Whitepaper heruntergeladen oder ein Werbevideo geschaut? Ist die Interaktionsrate entsprechend hoch? Es geht ergo um eine kundenzentrierte Vertriebsstrategie, die den gesamten Kaufprozess des Kunden oder der Kundin in den Blick nimmt.
Der Dynamik des heutigen Kaufprozesses und der damit verbundenen Unabhängigkeit und Bewegungsfreiheit des potentiellen Kunden – gerade auch im digitalen Kontext – wird der Verkaufstrichter mit Fokus auf dem Prozess des Verkaufens nicht mehr umfassend gerecht.
Die Visualisierung des Kaufprozesses als Customer Journey fällt im Vergleich deutlich komplexer aus, gleichwohl die einzelnen Schritte (Stages) in Teilen durchaus auch im Konzept des Verkaufstrichters angewendet werden. Betrachtet man jedoch zum Beispiel die Steps und sogenannten Touchpoints sowie die damit in Verbindung stehenden Abteilungen innerhalb eines Unternehmens, wird die Dynamik und Komplexität des heutigen Kaufprozesses einmal mehr deutlich.
Auch Oliver Büchel stellt das klassische Verkaufstrichter-Prinzip infrage und diskutiert verschiedene Ansätze, die mögliche Alternativen darstellen könnten, um Vertriebsprozesse besser abzubilden und analysieren, zu können. (siehe: vertriebszeitung.de)
So greift er unter anderem Kreismodelle wie das sogenannte Flywheel, welches von Brian Halligan, dem Gründer von Hubspot, auf die Vertriebs- und Marketingprozesse adaptiert wurde, auf.
Auch hier werden, wie zuvor bei der Customer Journey, die Marketing-, Vertriebs- und Service-Aktivitäten ganzheitlich betrachtet. Der Kunde oder die Kundin stehen im Mittelpunkt. Interaktion und Touchpoints werden berücksichtigt.
Die Darstellung des Kaufprozesses in Kreisform hat den Vorteil, dass sie nicht begrenzt und Kontinuität sowie Dynamik, welche gerade im digitalen Kontext eine Rolle spielen, abgebildet werden können. Dennoch werden einzelne Prozessschritte nicht nachvollzogen. Das ist mit dem Verkaufstrichter oder den Customer Journey Layers möglich.
Oliver Büchel schlägt daher eine Kombination von Kreislaufmodell, respektive Flywheel und den Prozessschritten des Verkaufstrichters oder Sales Funnel vor, um auf diese Weise die daran anschließenden Phasen der Kundenbetreuung nach Auftragserteilung berücksichtigen zu können. Denn mit dem Verkauf des Produkts oder der Dienstleistung oder dem Kauf dergleichen, um hier die Kundenperspektive zu betonen, endet kein Kundenservice und keine Kundenbeziehung. Auch die Betreuung und Weiterentwicklung eines Kunden sind Teil des Prozesses und schaffen Chancen zur Umsatzsteigerung.
Ein zufriedener oder gar begeisterter Kunde oder eine Kundin wird erneut kaufen und vor allem auch weiterempfehlen. Er trägt somit unter Umständen zur Erweiterung der Kundenzahl bei. Diese neuen potentiellen Kunden tauchen dann in jedem Modell oder Konzept als Lead wieder auf.
Es wird deutlich, dass der Verkaufstrichter oder Sales Funnel als grafisches Modell vorrangig zwei entscheidende prozessbeeinflussende Faktoren nicht abzubilden scheint. Zum einen eine kontinuierliche Kundenbeziehung, die bei erfolgreichem Kauf oder Verkauf nicht endet. Zum anderen fehlt die Möglichkeit, Beziehungen rund um den Kaufprozess darzustellen und potentielle Kunden über die jeweiligen Stufen des Verkaufstrichters hinaus z.B. in Relation zu setzen.
Die Frage ist jedoch: muss er das können? Oder besteht nicht vielmehr die Möglichkeit, den Verkaufstrichter oder Sales Funnel als Teil eines ganzheitlichen Analyse- und Gestaltungsansatzes zur Etablierung eines erfolgreichen Kundenbeziehungsmanagements zu sehen? (siehe hierzu: Martin Stadelmann, Mario Pufahl, David D. Laux, Hrsg.: CRM goes digital, 2020)
Einen solchen ganzheitlichen Gestaltungsansatz für das Kundenbeziehungsmanagement, der es ermöglicht, in Relationen oder Beziehungen sowie Prozessen zu denken, bietet das Modell der „Exploded View“. Es wurde von dem Beratungsunternehmen foryouandyourcustomers weiterentwickelt. (siehe: foryouandyourcustomers.com). Die innovative Darstellungsform ermöglicht es, komplexe Zusammenhänge und Strukturen auf anschauliche Weise darzustellen und zu veranschaulichen.
Die Exploded View von foryouandyourcustomers basiert auf dem Prinzip der Zerlegung oder Aufspaltung eines Objekts oder Systems in seine einzelnen Bestandteile. Durch diese Art der Darstellung werden die verschiedenen Komponenten und deren Wechselwirkungen sichtbar gemacht, was einen ganzheitlichen Überblick ermöglicht.
Die Exploded View wird grundsätzlich vor allem in der Produktentwicklung und im Design eingesetzt, um die Funktionsweise eines Produkts zu verdeutlichen oder um Verbesserungspotenziale aufzuzeigen. Indem die einzelnen Bauteile eines Produkts auseinandergenommen und separat dargestellt werden, können Schwachstellen identifiziert und Optimierungsmöglichkeiten erkannt werden.
Aber auch in anderen Bereichen wie der Prozessoptimierung, der Organisationsentwicklung oder der Projektplanung findet die Exploded View Anwendung. Durch die anschauliche Darstellung komplexer Strukturen werden Zusammenhänge transparent und verständlich, was Entscheidungsprozesse erleichtert und effizienter gestaltet.
Die Experten von foryouandyourcustomers nutzen die Exploded View als kreatives Werkzeug, um komplexe Sachverhalte zu visualisieren und neue Perspektiven zu eröffnen. Durch die grafische Aufbereitung von Informationen werden Zusammenhänge schnell erfassbar und können leicht kommuniziert werden.
Das Exploded View-Modell bildet ein Unternehmen sowie den dazugehörigen Markt mit Kunden auf sechs Ebenen ab:
Customer Layer: Gemeint sind hier alle Kunden, d.h. alle Zielgruppen: Kunden, potentielle Kunden, Investoren, Mitarbeitende, Interessenten etc.
Experience Layer: Die Summe aller Kanäle, d.h. die wahrnehmbare Oberfläche des Unternehmens. Daraus entsteht die Bandbreite der Benutzer- bzw. Kundenerlebnisse.
Organisation Layer: Alle Mitarbeitenden eines Unternehmens und die dazugehörige Organisationsstruktur sowie Rollen und Funktionen.
Performance Layer: Alle Leistungen und die damit verbundenen Kundenprozesse eines Unternehmens.
Asset Layer: Alle Assets eines Unternehmens, z.B. Informatiksysteme, Lager, Logistik, Infrastruktur u.v.m.
Data Layer: Die Summe aller Daten und Datenstrukturen eines Unternehmens. Die Daten sind Grundlage und Wert jeder Firma.
Diese sogenannten Layers können schließlich in verschiedenen Perspektiven zusammengefasst und angewandt werden. Diese Perspektiven sorgen für ein vollständiges Bild über Kunden, Markt sowie das Unternehmen und dessen Leistungsträger:innen (H.A. Bartels/J. Möller: Die Exploded View als Bezugsrahmen für ein erfolgreicheres CRM. In: Martin Stadelmann, Mario Pufahl, David D. Laux, Hrsg.: CRM goes digital, 2020)
Dabei werden primär vier Perspektiven angewendet:
Kundenperspektive: Hier wird ein Verständnis für den Kunden und sein Erlebnis entwickelt.
Marktperspektive: Hier wird ein Überblick über das Zusammenspiel von Kunden und Anbietern geschaffen.
Unternehmensperspektive: Hier wird ein umfassendes und detailliertes Verständnis für das Unternehmen erarbeitet.
Mitarbeiterperspektive: Hier wird ein Verständnis für die Mitarbeiter:innen und ihr Erlebnis entwickelt.
Da der Erfolg eines Unternehmens zumeist auf verbesserten Kundenerlebnissen und dem daraus resultierenden Mehrwert für Kunden und Unternehmen basiert, ist es sinnvoll, sich gleich an erster Stelle mit dem Kunden sowie Bedürfnis und Angebot zu beschäftigen, um dann anschließend die weiteren eingenommenen und entwickelten Perspektiven mit der Kundenperspektive in Beziehung zu setzen.
Auch im Modell der Exploded View sieht man die Notwendigkeit, die Customer Journey nach dem Kaufentscheid durch die Nutzungsphase von Produkt oder Dienstleistung fortzusetzen. Denn es wird nicht davon ausgegangen, dass das Kundenbedürfnis bereits mit einem Kauf gestillt ist. Eine ausführliche Analyse sorgt aus diesem Grund für ein tieferes Verständnis der Erwartungen, welche der Kunde oder die Kundin an Produkt oder Dienstleistung hat. Dabei geht es auch um die Emotion und das Erlebnis, denn die „Customer Experience“ ist, Stand heute, ebenfalls Teil von Produkt oder Dienstleistung.
Die Bedeutung, welche entsprechend dem emotionalen Erlebnis eines Kaufs zukommt, unterstreicht der Buyer Survey von Gartner von 2019 einmal mehr. Denn 33% der Käufer:innen bevorzugen laut Survey einen verkäuferfreien Kaufprozess. Im Hubspot-Artikel „Das Kreislaufmodell“ (hubspot.de/flywheel) wird davon ausgegangen, dass 57% aller Käufe im B2B-Bereich abgeschlossen werden, ohne dass zuvor das Vertriebsteam kontaktiert wurde. Einmal mehr wird so die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes im Bereich des Kundenbeziehungsmanagements offensichtlich.
Die Stärke dieser Herangehensweise liegt in der konsequenten Kundenorientierung, und zwar über alle Abteilungen eines Unternehmens hinweg. Dabei wird nicht nur unternehmensseitig über zum Beispiel Touchpoints eine Beziehung zum Kunden hergestellt. Auch intern werden alle Aktionen über die sechs genannten Layer hinweg in Relation gesetzt. In diesem Zuge wird die Ablösung des Verkaufstrichters als Modell zur Messbarkeit der vertrieblichen Arbeit oder vielmehr des Verkaufserfolgs geradezu offensichtlich.
Vertrieb und auch Marketing jedoch im gleichen Atemzug und folgerichtig als nur eine von vielen für den Umsatzerfolg des Unternehmens verantwortlichen Abteilungen zu sehen, ist vielmehr ein Paradigmenwechsel. Dieser ist jedoch mit Sicherheit notwendig, möchte man seine Kunden vom Attribut „zufrieden“ loslösen und sie stattdessen mit dem eigenen Produkt oder der eigenen Dienstleistung mehrheitlich und langfristig begeistern.
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