Remote Teams, mobiles Arbeiten, Homeoffice – diese Buzzwords sind aktuell in aller Munde. Bevor der Corona Virus eine gesamte Arbeitswelt aufgemischt hat und Unternehmen quasi zur Digitalisierung zwingt, kamen diese Modelle zumeist in New Work Ansätzen und neuen Leadership-Konzepten vor. Zwar hatten viele Unternehmen schon zuvor Möglichkeiten für Homeoffice geschaffen, komplette Remote Teams bildeten aber bisher die Ausnahme. Daher stehen viele Unternehmen vor einer nie dagewesenen Herausforderung. Besonders jene, die zuvor keine oder nur in Ausnahmefällen Homeoffice Möglichkeiten und Remote Teams vorgesehen haben, tun sich mit der derzeitigen Situation schwer.
Der Herausforderung virtueller Interaktion, Besprechungen zu Videokonferenzen umzustellen und Projektmanagement virtuell zu gestalten, ohne das an Produktivität verloren geht. Zu größeren Sorgen wie fehlender Infrastruktur, Sicherheitslücken und unzureichenden Kommunikationsmöglichkeiten, mischen sich in der Führung von Unternehmen Ängste vor Kontrollverlust und Effizienzeinbußen.
Auf die infrastrukturellen Voraussetzungen und Sicherheitsvorkehrungen möchte ich im folgenden nicht tiefer eingehen, vielmehr geht es in diesem Artikel um Best Practices in der Zusammenarbeit von verteilten Teams, denn ich habe eine völlig gegenteilige Erfahrung gemacht und kann vielleicht dem ein oder anderen einige seiner Ängste und Sorgen für die Herausforderungen nehmen und ein paar Tipps aus meinen Erfahrungen ziehen. Mein Arbeitgeber lebt eine sehr offene und vertrauensvolle Kultur. Mobiles Arbeiten, sowie standortübergreifende Projekte in Remote Teams gehören zum Alltag. Ich selbst arbeite in einem agilen Projekt, in dem die Teammitglieder in neun verschiedenen Standorten in ganz Deutschland und der Schweiz verteilt sind und bin das remote Setup seit jeher gewohnt.
OMT-Podcast mit Teresa Hertwig, Mario Jung
Remote-Work und Homeoffice – Was sollte nach der Krise passieren – OMT-Podcast Folge #050
Sicher gibt es auch Hürden und Situationen, welche in Remote Teams beispielsweise aufgrund der Distanz schwieriger zu lösen sind. Mit guten Tools, viel Kommunikation, Austausch und einer angenehmen Arbeitsatmosphäre sind aber auch schwierige Situationen gut zu meistern und können durch gute Vorbereitung von Beginn an reduziert werden. Ich habe meine “Best Practice” Tipps der standortübergreifenden Zusammenarbeit im agilen Umfeld zusammengefasst – all diese Modelle und Formate haben sich in der Zusammenarbeit mit meinem Team bewährt. Sicher kann nicht alles als Lösung oder Ansatz auf jedes Team und Projekt übertragen werden, aber sie können erste Anhaltspunkte, Tipps und Hilfen besonders für neue Remote-Team-Konstrukte bieten.
1. Trust me!
“Schenke Vertrauen und sei transparent” – eigentlich ein No-brainer, dennoch möchte ich nicht darauf verzichten, diesen Tipp zu erwähnen – sowohl für Individuen und Teams, als auch in der Führung. Homeoffice bedeutet für deine Kollegen oder Mitarbeiter nicht, den ganzen Tag Kaffee zu trinken, Freunde zu treffen oder die Wohnung zu putzen. Für die meisten Arbeitnehmer ist die Möglichkeit des Homeoffice und flexiblere Arbeitszeiten eine große Erleichterung und sie sind sich ihrer Verantwortung und Arbeit bewusst. Schwarze Schafe gibt es überall, auch im Büro. Vertraue deinen Mitarbeitern und Teammitgliedern, schenke ihnen Freiräume und hab ein offenes Ohr für ihre Probleme und Fragen. Die Möglichkeit von Zuhause aus zu arbeiten kann sich sehr positiv auf die Produktivität und Ergebnisse auswirken. Häufig sind Mitarbeiter effizienter, können ungestörter arbeiten als im Büro und kommen auf neue kreative Ideen. Wichtig ist aber auch – egal ob Mitarbeiter oder Führungskraft – transparent zu sein und offen, viel und oft zu kommunizieren. Dazu gehören sowohl Erfolge, als auch Probleme, die aufgetreten sind oder Stellen, an denen Du nicht weiterkommst. Da die kurze Abstimmung an der Kaffeemaschine im Büro oder beim Mittagessen mit dem Team entfällt, ist es umso wichtiger, alle Teammitglieder gut abzuholen, zu informieren und ihnen Vertrauen bei der Erledigung ihrer Aufgaben zu schenken.
2. Kommunikation ist King!
Die Kommunikation ist quasi das Herzstück verteilter Teams. Um diese zu gewährleisten, sind klare Kommunikationskanäle festzulegen. Darunter fallen Tools zur Dokumentation wie Google Docs, Word, Confluence, etc., Chats zur schnellen Abstimmung (Teams, Google Chat, Skype, Slack, etc.), Boards zur Aufgabenverteilung (zum Beispiel Trello, JIRA oder Teams) und Video Messaging Tools zur persönlichen Abstimmung (Skype, Teams, Hangout, Facetime, usw. für Videokonferenzen). Überlege genau, welche Tools Du und dein Team nutzen möchtet und wie ihr sie zur Kommunikation einsetzen wollt. Wann sollte der Chat benutzt werden, wann ist eine E-Mail erforderlich und wie dokumentiere ich Workshops und Meetings? All diese Regelungen sollten für alle Beteiligte im Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeiter, jederzeit verfügbar und einsehbar sein – im besten Fall wurden sie sogar gemeinsam im Team festgelegt. Wichtig ist die Mitarbeiter nicht mit einer Flut an Tools zu überfordern und zu Beginn genau zu überlegen, welches Medium es wirklich braucht und ob es dem Einsatz, für das es vorgesehen ist auch gerecht wird. Generell gilt es auf leicht bedienbare statt hoch komplexe Tools zu setzen. Einige Tools bieten eine Vielzahl an Funktionen, von denen nur ein Bruchteil benötigt wird, was die Bedienung erschwert. Daher ist genau zu überlegen, welche Funktionen für Dein Team wirklich einen Mehrwert bieten und welche nur “nice-to-have” sind.
3. Lasst uns “tunneln”.
Chats können Fluch und Segen zugleich sein: schnelle Abstimmungen und Infos an alle sind hier jederzeit und einfach zu verteilen. Neben den projektspezifischen Channels sollten gerade in Remote Teams auch Freizeit-Channels erlaubt sein. Dennoch können Chats schnell ausufern und das geht zu Lasten der Effizienz und sorgt nicht allzu selten für Stress beim Nutzer. Aufgaben werden durch eingehende Nachrichten immer wieder unterbrochen und Mitarbeiter müssen sich immer wieder von neuem einarbeiten. “Tunnel” können hier eine Hilfe sein: Wenn an einer Aufgabe konzentriert gearbeitet werden muss, blockt sich der entsprechende Mitarbeiter einen Termin im öffentlich einsehbaren Kalender, oder kommuniziert via Chat, dass er sich für die nächsten zwei Stunden im Tunnel befindet. Anschließend deaktiviert er alle Eingangsbenachrichtigungen der Chats und E-Mail Programme. Hierfür empfiehlt es sich klare Regeln und Vorgehensweisen gemeinsam mit dem Team festzulegen, z.B. wie der Tunnel kommuniziert werden soll und wie lange getunnelt werden darf.
4. Zeig Dein Gesicht!
Damit meine ich nicht, allen Teammitgliedern ein Portraitfoto zu schicken, sondern auf Video Messaging Tools wie Hangout, Teams, Facetime, etc. zu setzen. Und es mag banal klingen, die Wirkung wird aber oftmals unterschätzt: schalte die Kamera ein. Ein Meeting, Gespräch oder auch ein Workshop mit eingeschalteter Kamera hat so viel höhere Erfolgschancen, als ein bloßes Telefonat. Die direkte Reaktion, die Du normalerweise in einem Austausch vor Ort bekommst, kannst Du remote größtenteils auch über Videotelefonie wahrnehmen. Natürlich eingeschränkter, dennoch nimmst Du die Mimik und einen Teil der Gestik des Gegenübers wahr und kannst Veränderungen der Stimmlage direkt in Verbindung setzen und entsprechend reagieren. Diese Reaktionsmöglichkeit bei Interaktionen entfällt bei Telefonaten ohne Video. Das mag am Anfang ungewohnt sein, aber es dauert nicht lange, bis das Format zur Gewohnheit wird. Du solltest aber an die laufende Kamera denken. Bei längeren Terminen kann das schon mal in Vergessenheit geraten: also nicht in der Nase popeln, oder Fitnessübungen während einer Videokonferenz durchführen.
5. Hintergrundgeräusche mag keiner – egal welche.
Wer nicht spricht, stellt sich stumm. Gerade in Meetings mit einer großen Anzahl an Teilnehmern ist dies ein nicht zu unterschätzender Tipp. Hintergrundgeräusche vom Bagger nebenan, den Kindern im Spielzimmer oder der Spülmaschine sind Störfaktoren, die die Kommunikation erschweren und sich ebenfalls negativ auf die Effizienz von Videokonferenzen auswirken. Außerdem kann es die Person, die gerade spricht irritieren und mitunter dazu führen, dass diese den Faden verliert. Das möchte keiner, denn Termine verlängern sich dadurch nur unnötig.
6. Small-Talk? Unbedingt!
Wir sind alle auf Effizienz getrimmt, gerade im agilen Umfeld sind Dailies auf 15 Minuten beschränkt und klar definierte Time Boxen für alle anderen Meetings angesetzt. Das Ziel sollte weiterhin bleiben, diese Time Boxen für die inhaltlichen Themen einzuhalten. Wenn nach den inhaltlichen Abstimmungen die Termine überzogen werden, um über die Hausaufgaben der Tochter oder das neu entdeckte Hobby zu sprechen – beende den Termin nicht voreilig. Persönlicher Austausch und Smalltalk festigen die Beziehungen und gute Stimmung der Teammitglieder und schaffen Vertrauen und Zusammenhalt. Natürlich sollte nicht jeder Termin um Stunden verlängert werden, aber kurze private Gespräche sollten hin und wieder erlaubt sein.
7. Regeln regeln.
Stellt gemeinsam Regeln auf. Nichts ist demotivierender als Kollegen, die ständig zu spät zu Meetings kommen oder allen ins Wort fallen. Wichtig ist, Vereinbarungen gemeinsam zu besprechen und zu treffen. So kann sich jeder einbringen und den anderen mitgeben, was ihm wichtig ist. Außerdem sorgen gemeinsam festgelegte Regeln zu mehr Pflichtbewusstsein, als Regeln, die von einzelnen Personen vorgegeben wurden. Wenn es Probleme mit der Einhaltung von Regeln gibt, empfiehlt es sich nicht immer, die direkte Konfrontation mit dem Betroffenen zu suchen. Häufig ist es hilfreicher im Team zu hinterfragen, weshalb es immer wieder zum Bruch kommt, ob es zu Missverständnissen kam oder ob die Regel vielleicht angepasst werden muss. Ein passendes Format ist hier die Retrospektive (siehe Tipp 8).
8. Retrospektiven durchführen.
Im agilen Setup sind Retrospektiven fester Bestandteil des Frameworks, gerade Remote Teams sind allerdings schnell dazu verleitet Retros auch mal ausfallen zu lassen. Dennoch sind diese virtuellen Meetings mit die wichtigsten. Auch für Teams, welche nicht nach agilen Methoden arbeiten, ist es durchaus empfehlenswert in regelmäßigen Abständen Retrospektiven mit dem Team durchzuführen. In sicherem Umfeld können Hürden, Effizienzblocker und andere Hindernisse offen adressiert und Lösungen und Maßnahmen zur Beseitigung definiert werden. Mindestens genauso wichtig: Lob verteilen! Im täglichen Doing geht das schnell mal unter, die Restrospektive gibt das entsprechende Format, um dies auch nochmal nachzuholen und Lob offen zu kommunizieren: Ein wahrer Motivationsbooster und gut für die Stimmung im Team. Wichtigste Regel für Retrospektiven: nie persönlich werden und respektvoll mit allen Teilnehmern umgehen!
9. Coffee Talk & After Work Events.
Auch remote können kleine Events organisiert werden. 15 Minuten Coffee Talk mit den Kollegen oder das obligatorische gemeinsame Feierabendbier. Solche Events schaffen Zusammenhalt und Vertrauen. Als Icebreaker kann im Wechsel jeder Teilnehmer eine kleine Wohnungsführung anbieten, so entstehen auch schnell Gesprächsthemen. Auch die “Vorführung” des Bücherregals bietet sich an, um schnell ins Gespräch zu kommen. Bei den meisten Teams ist so ein Icebreaker aber gar nicht nötig, Gespräche entwickeln sich schnell von selbst. Sogar Sport kann remote gemeinsam getrieben werden, von remote Workouts über remote Yoga, bis hin zu remote Laufgruppen – Digitalisierung sei Dank – heute ist einfach alles möglich.
10. Treffen vor Ort
An oberster Stelle: regelmäßig physische Treffen einplanen. Alle oben genannten Tipps helfen den Zusammenhalt und die Kommunikation remote zu stärken, doch nichts ist hilfreicher als Präsenz – persönliche Treffen. Ein gemeinsames Event, an dem zusammen gefeiert, außerhalb der Arbeit gequatscht werden kann und der Spaß im Vordergrund steht, ist einfach ein unabdingbarer Erfolgsfaktor für funktionierende Remote Teams. Tipp: Kleinere Teambuilding Maßnahmen wie klettern, Eisstock schießen, oder Geocaching fördern den Zusammenhalt und die Stimmung zusätzlich.
11. Extra-Tipp: Homeoffice
Da hat sich noch ein elfter Tipp eingeschlichen. Dieser ist für alle, denen die Homeoffice Situation auch neu ist und auf der Suche nach dem richtigen Modus sind. Ich könnte euch jetzt raten, nicht in Jogginghose zu arbeiten – das wäre aber vermessen, lebe ich doch selbst getreu dem Motto: “Oben hui, unten pfui”. Manch einem hilft dies aber, um eine Arbeitssituation besser zu simulieren und leichter ins Arbeiten zu kommen. Mir selbst helfen wechselnde Plätze, die Couch für eine Besprechung, die sich hauptsächlich aufs Zuhören beschränkt, der Schreibtisch fürs konzentrierte Arbeiten, die Theke für Dailies und das Wohnzimmer für den remote After Work Drink. Wer die Möglichkeit hat: verlagere den Arbeitsplatz in einen Raum, in dem Du nicht “lebst”. Wer sich mit wenig Raum behelfen muss: versuche nach der Arbeit die Arbeitsmittel zu verstauen, um nicht nach Feierabend noch Gefahr zu laufen, “mal eben schnell die Mails zu checken”, oder “noch ein bisschen weiter zu arbeiten”. Auch im Homeoffice sind Pausen und beschränkte Arbeitszeiten wichtig. Geh zur Kaffeemaschine und nehme Dir auch mal zehn Minuten Zeit mit dem Kollegen per Videotelefonie zu quatschen. Geh ein paar Minuten vor der Arbeit, in der Mittagspause, nach dem Mittagessen oder am Feierabend spazieren, um den Kopf frei zu bekommen – vielleicht hast Du sogar Termine während denen Du spazieren gehen kannst. Und mein persönlicher Geheimtipp: wähle den Platz, der am weitesten vom Kühlschrank entfernt ist – dann brauchts auch nach COVID-19 keine Diät ;).
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