Auch die Belesensten von uns haben sich bei dem ein oder anderen Text schon mal gedacht: Was genau wollen die mir damit sagen? Denn manchmal wird der Inhalt einfach unglaublich kompliziert formuliert und sehr leserunfreundlich getextet. Im Standardfall stellt das aber kein Problem dar und ist einfach nur ein bisschen lästig.
Wir lesen den Text entweder noch einmal oder beschließen, dass es die Mühe nicht wert ist und der Inhalt nicht wichtig ist. Was aber, wenn es Dir mit 99 Prozent aller Texte so ergeht? Wenn wirklich wichtige Informationen für Dich nicht zugänglich sind oder Du im Internet gezwungen bist, AGBs zu akzeptieren, die Du gar nicht verstehst?
Für zahlreiche Menschen ist das aus verschiedenen Gründen so: Sprachbarrieren, kognitive Beeinträchtigungen oder Lernschwierigkeiten machen Internetseiten oder Schriftstücke zu echten Herausforderungen. Und die begegnen uns im (digitalen) Alltag überall: Die Barriere fängt bei Beschilderungen und Schulbüchern an, zieht sich über behördliche Anträge, (digitale) Bankinformationen und Anmeldeformulare im Internet bis hin zum Beipackzettel, Onlinekauf und Produktbeschreibungen. All diese grundlegenden Informationen sind bis heute für einen großen Prozentsatz der Bevölkerung unzugänglich und müssen über Dritte erklärt werden.
Der Gesetzgeber verpflichtet zu „Einfacher“ oder „Leichter Sprache“
Die Digitalisierung schreitet voran, aber in vielen Bereichen sind die Informationen noch nicht barrierefrei. Es liegt noch viel Arbeit vor uns. Diesen Umstand geht die Regierung nun an und lässt juristische Konsequenzen folgen. Hier kommt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) ins Spiel, das ab dem 28. Juni 2025 in Deutschland in Kraft treten wird. Es wurde bereits am 16. Juli 2021 erlassen und heißt mit vollem Namen „Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen und zur Änderung anderer Gesetze“.
Es soll rechtliche Maßstäbe für die Barrierefreiheit digitaler Angebote setzen. In Bezug auf das Thema Sprache bedeutet dies, dass Unternehmen (mit Ausnahmen) laut Gesetz Informationen mindestens in Einfacher Sprache zur Verfügung stellen müssen (B1-/B2-Niveau). Online-Marketing muss damit nicht nur visuell ansprechend sein, sondern auch für alle zugänglich. Auf der eigenen Website https://bfsg-gesetz.de/ heißt es dazu:
„Das neue Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) enthält vor allem Informationen zu den Barrierefreiheitsanforderungen bei Produkten und Dienstleistungen inkl. Websites und Onlineshops. Es passt die bisherigen Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV), der Web Content Accessibility Guidelines (WACG) und des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) an die Richtlinie 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 an.”
Zu den Dienstleistungs- und Produkt-Bereichen, die vom BFSG geregelt werden, zählen beispielsweise:
- Telefondienste
- E-Books
- Messenger-Dienste
- Auf Mobilgeräten angebotene Dienstleistungen im überregionalen Personenverkehr
- Bankdienstleistungen
- Elektronischer/digitaler Geschäftsverkehr
- Personenbeförderungsdienste
- Computer
- Notebooks
- Tablets
- Smartphones
- Geldautomaten
- Fahrausweis- und Check-in-Automaten
- E-Book-Lesegeräte
- Router
Damit erklärt sich, warum das Thema auch für angehende Online Marketer:innen oder erfahrene E-Commerce-Enthusiasten wichtig ist. Die gesetzlichen Auflagen verpflichten bald die meisten Websites und Co. zu einer alternativen (digitalen) Version in Einfacher oder Leichter Sprache. Barrierefreiheit bei Texten – vor allem digital bzw. im Internet – ist damit nicht nur eine ethische Pflicht, sondern auch ein entscheidender Faktor für Deinen Erfolg im digitalen Business.
Was ist Einfache Sprache und was unterscheidet sie von Leichter Sprache?
Aber was genau ist Einfache Sprache oder Leichte Sprache eigentlich und wo liegt der Unterschied? Beide Konzepte haben dasselbe Ziel: Informationen verständlicher machen, damit sie von möglichst vielen Menschen erfasst werden können. Sie sollen es allen erwachsenen Personen ermöglichen, Informationen selbst zu erlangen und damit selbstbestimmter zu sein.
Hier ein Beispiel. Aus dem folgenden Einleitungstext:
„Heute sind Informationen durch Internet, Websites, Apps und Co. allgegenwärtig. Das heißt jedoch nicht, dass sie für alle Personen gleich zugänglich sind. Schon mal darüber nachgedacht, dass es nicht für jeden leicht ist, die Flut von Texten zu lesen und zu verstehen? Der Zugang zu (digitalen Texten kann aus den unterschiedlichsten Gründen und in den verschiedensten Bereichen für viele Menschen zur Herausforderung werden. Denn nicht jeder beherrscht die deutsche Sprache in gleichem Maße, sei es aufgrund von Lernschwierigkeiten, krankheitsbedingten kognitiven Beeinträchtigungen oder sprachlichen Barrieren. Genau hier setzt die „Leichte Sprache“ an – eine speziell geregelte sprachliche Form, die darauf abzielt, Texte besonders verständlich zu gestalten und somit die Barrierefreiheit zu fördern.“
wird in Leichter Sprache dieser Absatz:
„Infos gibt es überall.
Manche Menschen verstehen die Infos nicht.
Zum Beispiel Menschen mit einer geistigen Behinderung.
Oder Menschen mit Problemen beim Lesen und Schreiben.
Oder Menschen, die gerade Deutsch lernen.
Infos in Leichter Sprache sind leichter zu lesen.
Leichte Sprache versteht jeder.“
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Vorreiter pflegen ihr Image
In Deutschland gibt es schon jetzt gesetzliche Vorgaben, die Träger öffentlicher Gewalt verpflichten, Informationen vermehrt in „Leichter Sprache“ bereitzustellen. Im Zuge der Digitalisierung wurden erste Auflagen schon in mehreren Bereichen umgesetzt. Das Behindertengleichstellungsgesetz BGG und die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung BITV 2.0 regeln die genaue Umsetzung dieser Verpflichtung.
Auch Behörden wie der Deutsche Bundestag nutzen sie bereits auf ihren Internetauftritten neben der Standardsprache, um digitale Informationen barrierefrei bereitzustellen. Mittlerweile werden sogar klassische Theaterstücke vermehrt in „Leichter Sprache“ aufgeführt. Auch bei den Unternehmen gibt es schon Vorreiter, die nicht erst auf eine Verpflichtung warten. So bietet beispielsweise Paypal bereits seit 2018 AGBs auch in Leichter Sprache an. Unternehmen, die auf Digitalisierung setzen, sollten Barrierefreiheit immer mit auf dem Schirm haben.
Einfache Sprache als erster Schritt
Darüber hinaus setzen viele Firmen schon seit einigen Jahren zumindest auf Einfache Sprache. Und zwar sowohl im Hinblick auf die externe wie auf die interne Mitarbeiterkommunikation. Denn Einfache Sprache ist weniger aufwendig umzusetzen und formal, verzichtet in erster Linie auf komplizierte Ausdrücke, Fachbegriffe und Fremdwörter. Kurze Sätze stehen im Vordergrund.
Leichte Sprache unterliegt Regeln
Leichte Sprache geht noch einen Schritt weiter: Sie ist speziell für Menschen mit Lernschwierigkeiten konzipiert, verwendet ebenfalls kurze Sätze, eine begrenzte Anzahl an einfachen Wörtern, eine einfache Satzstruktur und unterstützt diese durch Bilder. Im Gegensatz zur Einfachen Sprache basiert die Leichte Sprache zusätzlich auf umfangreichen Regelwerken, die von verschiedenen Organisationen herausgegeben werden. Diese umfassen nicht nur sprachliche Aspekte, sondern auch Rechtschreibregeln, Empfehlungen zur Typografie und zum Mediengebrauch.
Dazu zählen beispielsweise folgende Regeln:
- Kurze Sätze
- Pro Satz nur eine Aussage
- Immer im Aktiv
- Einfache Satzstruktur/Satzgliederung = Subjekt + Prädikat + Objekt (z. B. Stefanie probiert Oblaten)
- Kein Konjunktiv
- Der Genitiv wird durch präpositionale Fügungen mit „von“ ersetzt, z. B. „Das Rad des Kindes“ durch „Das Rad vom Kind“.
- Keine Synonyme, Sonderzeichen und Verneinungen.
- Mengenangaben werden durch „viel“ oder „wenig“ ersetzt.
- Präzise Jahreszahlen durch eine allgemeine Angabe (beispielsweise wird „Napoleon verlor 1815 die Schlacht von Waterloo“ zu „…verlor vor langer Zeit…“)
- „Du“ und „Sie“ werden wie in der Standardsprache verwendet.
- Bindestriche oder Halbhochpunkte (auch als Mediopunkte bezeichnet) verdeutlichen, aus welchen Wörtern Zusammensetzungen bestehen, z. B. Koch-Schürze, Eier-Wärmer oder Koch·schürze, Eier·wärmer.
- Keine abstrakten Begriffe, wenn unvermeidbar mit Erklärung, Beispiel oder Vergleich
- Keine bildhafte Sprache
- Fremdwörter oder Fachwörter werden erklärt.
- Abkürzungen werden bei der ersten Erwähnung durch die ausgeschriebene Form erklärt.
- Es wird Groß- und Kleinschreibung verwendet.
- Keine kursive Schrift
- Eine Zeile pro Satz
- Linksbündige Schreibweise
- Flattersatz
- Aufzählungspunkte sind willkommen.
- Bild und Text fließen nicht ineinander.
- Bilder werden eingesetzt, um den Text zu erklären.
Die Herausforderung dabei liegt vor allem in der sorgfältigen Umsetzung. Bei komplexen Texten ist das Beachten des Regelwerkes nämlich alles andere als leicht. Den Textinhalt zu vereinfachen, ohne den Inhalt oder die Botschaft zu ändern, erfordert viel Sorgfalt, Arbeit und Zeit. Prüfer:innen kontrollieren bei offiziellen Texten die regelkonforme Umsetzung und inhaltsgerechte Änderung.
Sara Henßen, Texterin für soziale und inklusive Kommunikation erklärt:
„Jeder Text in Leichter Sprache muss von Expertinnen und Experten der Zielgruppe überprüft und freigegeben werden. Dieser Schritt gehört zwingend zum Regelwerk dazu, denn nur so kann sichergestellt werden, dass ein Text tatsächlich verständlich ist”
Eine Übersetzung in Leichte Sprache ist daher deutlich aufwendiger als in Einfache Sprache und braucht viel mehr Zeit.
Warum ist das wichtig für Online Marketing und E-Commerce?
Wir wissen, wie entscheidend es ist, dass Botschaften klar und präzise bei Deiner Zielgruppe ankommen. Durch die fortschreitende Digitalisierung gewinnt nun aber Verständlichkeit wie beschrieben auch juristisch immer mehr an Bedeutung. Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten müssen zukünftig ohne Barrieren auf Deine Website zugreifen und Deine Produkte verstehen können. Aktuelle Studien zeigen, wie groß der Verbesserungsbedarf trotz aller Digitalisierungsmaßnahmen noch ist. Die gemeinnützige Organisation WebAIM hat beispielsweise 2019 und 2020 die Majestic-Million-Liste der meist referenzierten Websites der Welt auf ihre Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen untersucht.
Erschreckendes Fazit: Nur rund zwei Prozent der darin enthaltenen Internetauftritte weisen keine Mängel auf. Das digitale Problem Nummer Eins ist zwar der schwache Kontrast zwischen Text und Hintergrund, der vor allem für Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen eine Barriere darstellt. Aber unmittelbar auf Platz zwei – mit 66 Prozent – rangieren die fehlenden alternativen Texte in Einfacher oder Leichter Sprache. Der damit einhergehende Imageverlust wird in Kürze marketingtechnisch viel mehr Schaden anrichten als ein Alternativtext Dich kostet.
Warum ist Barrierefreiheit gut für Dein Business?
Neben der rechtlichen Verpflichtung bietet Barrierefreiheit eine Chance, Deine Zielgruppe zu erweitern. Personen mit Lernschwierigkeiten, ältere Menschen und viele andere profitieren von klaren und verständlichen Informationen. Durch die Nutzung von Einfacher und Leichter Sprache zeigst Du nicht nur soziales Engagement, sondern eröffnest auch neue Absatzmöglichkeiten. Weltweit sind immerhin mehr als zwei Milliarden Menschen auf Texte in Einfacher oder Leichter Sprache angewiesen.
Großes Plus: Bedenke, dass Suchmaschinen ebenfalls auf klare und verständliche Inhalte setzen. Durch die Optimierung Deiner Texte in Einfacher und Leichter Sprache verbesserst Du nicht nur die Lesbarkeit, sondern auch Deine Position in den Suchergebnissen.
Fazit: Lieber gleich verständlich Flagge zeigen
Die Zukunft des Online-Marketings ist verständlich! Der Einsatz von Einfacher und Leichter Sprache ist nicht nur ethisch richtig, sondern auch wirtschaftlich klug. Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz wird dies sogar zur Pflicht. Du solltest diesen Umstand als Chance begreifen, Deine Zielgruppe zu erweitern und Dich als zugängliches und kundenfreundliches Unternehmen zu positionieren. Bedeutet: Prüfe Deine Website, Deine Produktbeschreibungen und Marketinginhalte auf Verständlichkeit. Nutze die Gelegenheit, Deinen Content barrierefrei darzustellen und die Zukunft des Online Marketings mitzugestalten. Eine zugängliche Website ist nicht nur gut für Deine Kunden, sondern auch für dein Business.
PS: Keine Sorge: Du musst die Regeln der Leichten und Einfachen Sprache nicht stundenlang selbst lernen. Wenn Du Hilfe bei der Umstellung auf Einfache Sprache brauchst, gibt es Text-Experten, die Dich schnell und unkompliziert dabei unterstützen.
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